Der alte Sender lebt in der Erinnerung

 Zum Muttertag eine Reise in die Vergangenheit: Dorothee Windmiller hat als Kind das Mühlacker Wahrzeichen lieben gelernt

Man kann zum Muttertag Blumen schenken oder Pralinen – oder einen Ausflug in die Vergangenheit, der direkt nach Mühlacker führt. Hier hat, am Fuße des einstigen Holzsenders, Dorothee Windmiller geborene Fohrer fünf Jahre ihrer Kindheit verbracht, und hierher ist sie am vergangenen Wochenende – 75 Jahre später – zurückgekehrt.

April 1936: Dorothee Fohrer (hinten) im Alter von sieben Jahren mit den jüngeren Geschwistern Rudolf, geboren 1933, und Annemarie. Die kleine Schwester kam 1934 zur Welt und starb mit zwei Jahren, am 13. Mai 1936, in Mühlacker an einer Meningitis. Foto: privat
Mai 2013: Dorothee Windmiller, die seit 1950 in ihrer Geburtsstadt Ulm lebt, ist im Alter von 84 Jahren zu „ihrem“ Sender zurückgekehrt. Ein Familienausflug zum Muttertag weckt Emotionen, die Erinnerungen an die Kindertage in Mühlacker werden wieder lebendig. Foto: Meyer

Mühlacker. Immer wieder hat Dorothee Windmiller, inzwischen 84 Jahre jung, dreifache Mutter und achtfache Großmutter, ihrer Familie von „ihrem“ Sender erzählt; zwei Bilder des Mühlacker Wahrzeichens schmücken nach wie vor das Wohnzimmer in Ulm. Vieles ist in einem Dreivierteljahrhundert passiert, doch die Zeit in Mühlacker ist unvergessen geblieben. Der Vater, Rudolf Fohrer, wechselte als Angestellter der Post häufig den Arbeitsplatz und deshalb, mit Frau und Kindern, auch den Wohnort. Von 1934 bis 1939 war er als Techniker zuständig für den 1930 eingeweihten ersten deutschen Großsender, der damals noch auf einem 190 Meter hohen Mast aus Holz ruhte.

„Hier stand früher, von der Stuttgarter Straße bis hinauf zum Tor, kein einziges Haus und kein Baum – einfach nichts“

Vieles ist in einem Dreivierteljahrhundert passiert, und das gilt auch für Mühlacker, seine Senderanlage und die gesamte Stadt. Was genau sich verändert hat, erfuhr Dorothee Windmiller am vergangenen Sonntag, als die Familie den Herzenswunsch erfüllte und die Mutter mitnahm auf eine Spurensuche zu Füßen des Senders. „Hier stand früher, von der Stuttgarter Straße bis hinauf zum Tor, kein einziges Haus und kein Baum – einfach nichts“: Der Senderhang, längst ein belebtes Wohngebiet mit Hochhäusern, ist für den Gast aus Ulm ein unbekanntes Terrain. Der Zaun um die eigentliche Senderanlage ist weitläufiger gezogen, und dennoch war einst, für das kleine Mädchen, das Gelände die ganze Welt. „Hier gab es ein kleines Akazienwäldchen, in dem der Vater eine Kletterstange anbrachte“, erinnert sie sich. Die kleine Dorothee ärgerte sich mächtig, dass sie regelmäßig scheiterte – bis sie es eines Tages doch noch hoch schaffte, dafür aber nicht mehr runter …

Die Zukunft des Senders ist ungewiss, doch in der Biografie von Dorothee Windmiller ist das Bauwerk fest verankert. Im April 1945, zum Ende des Krieges, wurde der alte Turm, der als einer der höchsten Holzbauten aller Zeiten gehandelt wird, von Pionieren der Wehrmacht gesprengt, damit er nicht in „Feindeshand“ fällt.

Überstanden hat den Krieg das Wohnhaus, das, wie Dorothee Windmiller voller Freude feststellte, noch da steht wie anno dazumal. Vier Familien lebten hier: oben links die fünfköpfige Familie Fohrer, darunter die Langs, auf der anderen Seite die Doblers und die Familie des Hausmeisters Kirschmer. Auf der einen Seite verlief der Weg in Richtung Schule, auf der anderen ging es, auf dem krummen „Bananenwegle“, hinab zum Stadtzentrum. „Links drüben gab es noch einen Weg in Richtung Dürrmenz. Aber da ging man nicht hin, dort lebten die Hugenotten.“

Schlug der Blitz in den Sender ein, was oft geschah, musste der Vater auf einer gewaltigen Leiter im Inneren des Masts – auf alten Bildern noch erkennbar – hochklettern, um den Schaden an der Antenne zu begutachten. 190 Meter Aufstieg auf einer Holzleiter ohne jegliche Sicherung – damals noch die Normalität. „Den Kindern war natürlich verboten, hier zu klettern.“ Als es wieder einmal gewaltig blitzte, kam der jüngere Bruder angerannt und meinte: „Jetzt isch aber mei Herz g’laufa.“

Viele andere Kinder gab es nicht, am damals noch öden und verlassenen Senderhang. Da waren der Otto Kirschmer und ein Sohn der Doblers, der ein wenig älter war. Die drei spielten zusammen Fußball im Schatten des Sendermasts, wobei Dorothee ihren festen Platz im Tor hatte.

„Angst vor dem Blitz hatten wir keine, der hat ja immer in den Sender eingeschlagen“

Zur Volksschule in der Stadt hat eine halbe Stunde Fußweg nicht gereicht, zurück dauerte es, wegen des Anstiegs, noch länger. Auf halber Höhe konnten sich die Kinder im Schatten eines Pumphäuschens, das Dorothee Windmiller 2013 vergeblich sucht, ausruhen. Im Winter, wenn die Kinder bei Eisglätte den Berg nicht schafften, trug sie der Hausmeister huckepack hoch.

Die Erinnerungen sind so lebendig wie einst. Die Lehrerin, die jeden Morgen den Jungs rein prophylaktisch mit dem Rohrstock den Weg durch den Tag zeigte und einmal so schwungvoll ausholte, dass sie den Adventskranz gleich mit abräumte …

Oder der Fall mit der Maus, die ausgerechnet direkt vor einer wichtigen Ansprache, die im Rundfunk übertragen werden sollte, ein Kabel des Senders durchknabberte. Hektisch wurde die gesamte Strecke vom Maschinenraum bis zum Mast aufgegraben und der Schaden – gerade noch rechtzeitig – behoben. Die Maus allerdings bezahlte den Anschlag mit dem Leben …

Die alte Schule, war es die Schillerschule? In diesem Punkt ist sich Familie Windmiller nach ihrem bewegenden Muttertagsausflug nicht ganz sicher. Dafür aber stößt sie, eher zufällig, auf das Gebäude, in dem einst das legendäre „Storchennest“ untergebracht war, in dem Bruder Hermann 1938 das Licht der Welt erblickte.

(Mühlacker Tagblatt vom 15.05.2013, Text: Ursula Windmiller / Thomas Eier; Fotos: privat, Meyer)

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